BIM Innovationen und Forschung

BMDV-Förderprojekt: Digitale Zwillinge in der Infrastruktur

Im Gespräch mit Johanna Washington vom iRights.Lab Berlin – An einem virtuellen Abbild erproben, was am physischen Objekt möglich ist: Digitale Zwillinge ermöglichen ein effizientes, partizipatives und ressourcenschonendes Planen, Bauen und Unterhalten von Gebäuden. Johanna Washington leitet das Projekt „Digitale Zwillinge in Infrastruktur, Bau, Wohnen – von Theorie und Konzeption in die Praxis“, das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gefördert wird. Im Interview erklärt sie, welche Herausforderungen Digitale Zwillinge mit sich bringen und welche Chancen mit einer erfolgreichen Anwendung einhergehen.

 

In der Medizin, der Transportwirtschaft und vielen weiteren Bereichen sind Digitale Zwillinge nicht mehr wegzudenken. Inwieweit werden sie in der Baubranche bereits genutzt?

International kommen Digitale Zwillinge im Baubereich bereits vielfach zum Einsatz: Zum Beispiel in der sich im Bau befindenden Stadt Amaravati (Indien), bei der von Beginn ein Digitaler Zwilling für die Stadtentwicklung integriert wird. Oder auch in der Stadt Cambridge (UK), die den Universitäts-Campus digital kopiert, um Managementaufgaben zu unterstützen. Auch in der deutschen Baubranche hat die Nutzung von Digitalen Zwillingen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Als großes Projekt in Deutschland ist der Digitale Zwilling der Köhlbrandbrücke in Hamburg zu nennen.

Insgesamt steckt das Thema hinsichtlich einer breiteren praktischen Umsetzung im Bauwesen noch „in den Kinderschuhen“ Ein aktuelles Forschungsprojekt ist die „Straße der Zukunft“ der RWTH Aachen und TU Dresden.

Das BMDV hat Digitale Zwillinge ebenfalls als Zukunftsthema identifiziert und fördert aktuell verstärkt neue Forschungsprojekte in diesem Bereich, zum Beispiel im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND oder das von mir geleitete Projekt „Digitale Zwillinge in der Infrastruktur“. Wie wichtig das Thema zukünftig sein wird, zeigt auch die Gründung der Arbeitsgruppe „Digitale Zwillinge in der bebauten Umwelt“ im DIN-Normenausschuss Bauwesen (NaBau). Aktuell wird auch an einer DIN Spec zu Urbanen Digitalen Zwillingen gearbeitet.

 

Digitale Zwillinge – z.B. aus Basis von BIM-Modellen, bilden den kompletten Lebenszyklus eines Objektes ab. Welche Chancen bietet das bei der Errichtung neuer Gebäude und Anlagen?

Architekten und Ingenieure können Gebäude oder ganze Anlagen zunächst über die BIM-Methodik virtuell planen und im Webbrowser, auf dem Tablet oder mit einem Mixed-Reality-Headset visualisieren, bevor sie mit dem Bau starten. Bei bereits vorhandenen Gebäuden können sie Wartungsarbeiten anhand von „Was-wäre-wenn“-Szenarien in einem Digitalen Zwilling auch im Betrieb des Gebäudes können Sensoren und automatisierte Entscheidungen verwendet werden um mittels Simulationen, die Nutzung zu optimieren. Ein Digitaler Zwilling unterstützt also dabei, bessere Entscheidungen zu treffen – bei Planung, im Bau und im Betrieb.

Der „virtuelle Testbereich“ ermöglicht es, Konstruktionsfehler und Konflikte zu ermitteln, bevor sie entstehen. Das ist ein großer Schritt hin zum nachhaltigen und effizienten Bauen und Betreiben von Infrastrukturen. Die Minimierung von kostspieligen Nacharbeiten spart Ressourcen. Für mehr Nachhaltigkeit sorgt dabei auch die Simulation und Analyse von der Energieeffizienz von Objekten. Das Arbeiten mit einem Digitalen Zwilling ist partizipativ: Alle Beteiligten sind am gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes beteiligt – möglich durch die dynamische Integration von Daten und Informationen. Auch Bürgerinnen und Bürger und die Politik können so z.B. durch Visualisierungen und Simulationen einfacher im Prozess mitgenommen werden.

 

Quelle: Eigene Darstellung iRights.Lab

Welche Herausforderungen bringen Digitale Zwillinge mit sich?

Es gibt eine Reihe von Herausforderungen, die Digitale Zwillinge mit sich bringen. Zum Beispiel Fragen des Datenschutzes, regulatorischer Prozesse, der Interoperabilität und Standards: Die Einführung und Umsetzungsfähigkeit hängen stark von diesen und weiteren Aspekten ab. Auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen oder öffentlicher Stellen spielt eine große Rolle. Herausfordernd ist auch die Integration des virtuellen Abbildes in vorhandene Strukturen. Die Implementierung von Daten, Aufgaben und Prozessen in den Digitalen Zwilling aus den verschiedenen Fachbereichen ist umfangreich. Zuständigkeiten müssen daher genau geklärt werden. Die Komplexität eines Digitalen Zwillings, die nötige Kommunikation, das Verständnis, die Planung des Prozesses und die finale Umsetzung sowie die benötigten finanziellen Mittel eines Digitalen Zwillings erfordern ein effektives Projektmanagement. Vielleicht müssen sogar Organisationsstrukturen angepasst werden.

 

Die Anwendung eines Digitalen Zwillings bezieht alle Beteiligten beim gesamten Prozess mit ein. Wie leicht lässt sich diese Partizipation aller umsetzen?

Die Zusammenarbeit von vielen verschiedenen Akteuren aus unterschiedlichen Fachbereichen erfordert, dass notwendige Daten erhoben, Schnittstellen eingerichtet und technische Voraussetzungen berücksichtigt werden. Die Herausforderung dabei kann sein, notwendige Interessensvertreterinnen und ‑vertreter oder Datenquellen zu identifizieren und für den Digitalen Zwilling nutzbar zu machen. Die erforderliche Datenmenge sowie die Darstellungstiefe sind herausfordernd.

Neben der Qualität müssen auch Datenschutz und -sicherheit sichergestellt werden. Es ist festzulegen, welche Daten erhoben und verwendet werden dürfen beziehungsweise, wie mit personenbezogenen Daten umzugehen ist. Sammlung, Verwaltung und Integration großer Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen sind komplex. Unterschiedliche Datenformate und -systeme müssen vereinheitlicht werden. Auch aus technischer Perspektive ist ein Digitaler Zwilling keine Routineaufgabe. Die Erstellung und Wartung erfordern fortschrittliche Technologien und Expertise in Bereichen wie 3D-Modellierung, IoT und künstliche Intelligenz. Diese Technologien entwickeln sich schnell weiter. Man muss hier also ständig auf dem neuesten Stand bleiben.

 

Im BMDV-Projekt „Digitaler Zwilling in der Infrastruktur“ arbeiten Sie daran, Anwendungsmöglichkeiten von Digitalen Zwillingen zu identifizieren und die Umsetzungsschritte nutzerfreundlich aufzubereiten. Was bedeutet das im Detail?

Wir wollen sektorübergreifend vorhandenes Wissen über Digitale Zwillinge bündeln und vertiefen. Gleichzeitig analysieren wir Praxisbeispiele und Handlungsanweisungen für Anwenderinnen und Anwender Digitaler Zwillinge. In sieben Arbeitspaketen werden die wesentlichen Potenziale und Anwendungsmöglichkeiten aller zentralen Aspekte bei der Planung und Implementierung Digitaler Zwillinge strukturiert erarbeitet. Der erste Meilenstein des Projektes war die Aufbereitung von Wissenschaft, Technik und Praxisumsetzung. Aktuell stellen wir die einzelnen modularen Bestandteile und Reifegrade Digitaler Zwillinge zusammen. Anschließend wollen wir Handlungskonzepte auf Basis der Bestandsanalyse vorhandener Anwendungsfälle formulieren. Die so erarbeiteten Umsetzungsempfehlungen werden den Zielgruppen ähnlich einem modularen Baukastenprinzip bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt. Das Projekt soll unmittelbar zur praktischen Anwendung von Innovationen im Bereich des Infrastrukturbaus und Management beitragen.

 

Ein Blick in die Zukunft: Ausgehend von den bisherigen Ergebnissen Ihres Projekts – wie wird sich der Einsatz Digitaler Zwillinge in Infrastrukturprojekten entwickeln?

Die Diskussion um Digitale Zwillinge in Deutschland entfaltet sich derzeit manchmal noch im Spannungsfeld zwischen „Hype und Hoffnung“. Das ist insofern interessant, als dass es aktuell noch keine allgemein etablierte Definition von Digitalen Zwillingen gibt. Wenn wir es also schaffen, den „Hype“ auf eine solide Basis zu stellen, die genannten Herausforderungen händelbar zu machen und die Anwenderinnen und Anwender dabei in den Fokus zu nehmen, dann werden in Zukunft sicher viele Pilotprojekte in den Vollbetrieb gehen.
 

Weitere Informationen zum Projekt und zu Informationsveranstaltungen finden Sie hier.

 

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