Künstliche Intelligenz (KI) kann das Bauwesen effizienter, nachhaltiger und produktiver machen – doch wie genau? Prof. Dr.-Ing. Jörn Plönnigs von der Universität Rostock erforscht KI-Methoden für das digitale Entwerfen, Bauen und Betreiben von Gebäuden. Im Interview spricht er über die Herausforderungen der Branche, die Rolle von Daten und Automatisierung sowie die Potenziale von KI für Planung, Betrieb und Digitale Zwillinge.
Prof. Dr.-Ing. Jörn Plönnigs ist Professor für Künstliche Intelligenz im nachhaltigen Ingenieurwesen an der Universität Rostock und leitet dort innovative Forschungsprojekte zur Anwendung von KI im Bauwesen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Integration von KI-Methoden im digitalen Bauprozess – von der Planung über den Betrieb bis hin zur Optimierung der Nachhaltigkeit von Bauwerken. Mit seinem Team arbeitet er an Datenmodellen, maschinellem Lernen und Digitalen Zwillingen, um das Bauwesen effizienter, resilienter und zukunftsfähig zu gestalten.
Herr Prof. Plönnigs, welchen Beitrag kann die KI leisten, um die Produktivität im Bauwesen zu steigern?
Die Produktivität kann an vielen Stellen gesteigert werden und es gibt Potenzial entlang des gesamten Lebenszyklus. Die Fähigkeit von KI liegt vor allem in der Verarbeitung von großen Datenmengen. Diese wachsen in unserer immer digitaler werdenden Arbeit rasant. Es beginnt bei BIM-Modellen im Entwurf, die dann im Bau und Betrieb weiter genutzt werden, aber auch bei den vielen zusätzlichen Dokumenten, wie Normen, Handbücher, E-Mails, Fotos, Videos und Messreihen, die im Bau und Betrieb erzeugt werden. Praktiker haben kaum Zeit, diese Mengen zu analysieren. KIs können das allerdings zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie können uns dann die wichtigen Punkte zusammenfassen und uns beratend zur Seite stehen.
Welche konkreten Beispiele können Sie nennen, in denen KI bereits erfolgreich zur Optimierung von Entwurfsprozessen oder zur Automatisierung von Planungsaufgaben eingesetzt wird?
Aktuelle Umfragen zeigen, dass KIs von überraschend vielen Architekten und Ingenieuren eingesetzt werden. Es beginnt mit der Erzeugung von Entwurfsideen durch Bildgeneratoren, die dann beim Erstellen von Entwurfsansichten genutzt werden. Zaha Hadid Architects nutzt KIs zum Beispiel, um BIM-Modelle einfach als Strichzeichnung vorzurendern, also ein Bild aus ihnen zu erzeugen, und dann mit einer KI zu colorieren. Das spart den aufwändigen Schritt, passende Texturen und eine gute Beleuchtung zu finden. Auch in der Planung kann KI unterstützen, zum Beispiel in der Frage, welche Normen berücksichtigt werden müssen. Zudem kann KI auch bei der Dokumentation auf der Baustelle hilfreich sein, beispielsweise indem sie Dokumente, Handbücher, E-Mails, Fotos und Videos analysiert. Im Betrieb werden KIs wie Chatbots oder Spracherkennung beim Facility Management im Kundensupport oder im internen Support eingesetzt. Dabei geht es nicht nur darum, Anfragen der Kunden zu beantworten, sondern auch, Wartungsaufträge und Diagnosen auszuformulieren und den Mechanikern anhand von Zustandsanalysen durch einen Digitalen Zwilling zu spezifischen Anlagen im Feld Handlungsvorschläge zu geben.
Stichwort Digitale Zwillinge: Der Digitale Zwilling bildet nicht nur die Planungsphase eines Gebäudes oder einer Infrastruktur ab, sondern auch den gesamten Lebenszyklus. Welche Herausforderungen gibt es aktuell, um Digitale Zwillinge tatsächlich als Steuerungsinstrument für Gebäude und Infrastrukturen zu nutzen? Und welche Rolle spielt dabei KI?
Ein Digitaler Zwilling grenzt sich von einem klassischen BIM-Modell durch die Fähigkeit ab, das reale Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Damit Digitale Zwillinge das über den gesamten Lebenszyklus leisten können, müssen sie vor allem kontinuierlich lernen, wie sich das reale Objekt verhält. Das kann aufgrund des Datenvolumens, das im Betrieb durch Gebäudetechnik und Structural Health Monitoring entsteht, effektiv nur noch eine KI machen. Diese KIs und die resultierenden Digitalen Zwillinge sind hoch spezialisierte Anwendungen, die zum Beispiel im Energiemonitoring den Betrieb von zentralen Anlagen lernen und an das aktuelle Wetter und den Bedarf anpassen, oder Bilderkennungsmodelle, die Schwachstellen im Beton auf Überwachungsbildern von Robotern erkennen.
KI kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen sie trainiert wird. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen bei der Datenverfügbarkeit und -qualität? Welche Standards oder Strategien könnten helfen, um eine verlässliche Datenbasis für KI-Anwendungen zu schaffen?
Das ist durchaus ein Kernproblem in der Entwicklung von KI-Modellen. In Fachkreisen nennt man das oft auch ironisch: „garbage in, garbage out“. Im Bauwesen brauchen wir spezialisierte Modelle, die die Normen kennen und technisches Verständnis haben. Wir dürfen nicht einfach ChatGPT fragen, wie wir das Tragwerksmodell einer Brücke planen sollen und eine richtige Antwort erwarten. Solche Modelle sind auf generische Inhalte im Internet trainiert, nicht auf Expertenwissen im Bauwesen. Allerdings kann man diese Modelle gut auf solche Inhalte nachtrainieren. Hier haben wir zum Glück den großen Normenschatz und mit BIM ein standardisiertes semantisches Datenformat und Prozesse. Beides enthält allerdings viele technische Inhalte und spezifische Varianten, die von den KI-Modellen derzeit noch nicht gut zu verarbeiten sind. Deshalb müssen wir anfangen, solche Inhalte zentral zu sammeln, um damit bessere KI-Modelle trainieren zu können. Dafür ist ein hohes Maß an Kollaboration vieler notwendig, die Daten und Wissen besitzen, auch um nicht von wenigen Big-Playern abhängig zu sein. Zum Beispiel in Form von BIM-Modell-Bibliotheken, damit wir daraus Open-Source-Modelle trainieren können, die verstehen, was einen guten Plan ausmacht – von den ersten Entwurfsskizzen über die Tragwerksplanung bis hin zur Ausführung. Nur durch das gemeinsame Agieren können wir im Mittelstand dann KI-Modelle nutzen, die uns dabei unterstützen, gute Entwürfe effizienter zu planen. Analog sieht man ja an der BIM-Entwicklung, wie weit uns Zusammenschlüsse in diesem Bereich gebracht haben. Das brauchen wir auch für die Digitalen Zwillinge – denn Top-KI-Modelle entstehen eben nur durch eine umfangreiche und qualitative Datenbasis.
In manchen Fällen liefert KI noch falsche Ergebnisse, so genannte Halluzinationen. Wie sollte die Bauwirtschaft mit Fragen der Haftung und Zertifizierung von KI-Modellen Ihrer Meinung nach umgehen? Welche Ansätze gibt es bereits für eine sichere und verlässliche Nutzung?
Zum einen müssen wir sicherstellen, dass die Modelle nicht einfach halluzinieren. Hierfür müssen wir spezifischere Modelle trainieren, wofür wir gute Daten brauchen – und wir brauchen Modelle, die uns sagen, wenn sie etwas nicht genau wissen. Aktuelle Modelle entwickeln diese Fähigkeiten zum Beispiel durch Chain-of-Thought-Reasoning: Dabei müssen die Modelle erklären, wie sie auf eine Aussage gekommen sind. Darüber hinaus bietet es sich an, entsprechende KI-Modelle zum Beispiel an einem Benchmark zu zertifizieren, das einen bestimmten Leistungsstandard definiert. Zum anderen können wir nicht erwarten, dass KI-Modelle fehlerfrei arbeiten. Wir erwarten das ja auch nicht von uns Menschen. Wichtige Eigenschaften unserer natürlichen Intelligenz sind die Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit, Entscheidungen auch bei Unsicherheiten zu treffen. Bei einer „Künstlichen Intelligenz“ wollen wir dies replizieren und erhalten dabei auch ähnliche Schwächen. Da sollten wir auch unsere Erwartungshaltung an die KI anpassen. Wichtig ist dabei, ein Modell nicht direkt als „schlecht“ abzustempeln, wenn mal ein falsches Ergebnis kommt. Dann muss man herausfinden, wie man dieses korrekt trainiert – genau wie wir Menschen lernt auch die KI aus Fehlern.
Zudem haben wir viele Prüfprozesse im Bauwesen, die wir nicht einfach abschaffen werden. Letztendlich bleibt der Mensch rechtlich der Hauptverantwortliche und muss sicherstellen, dass das Ergebnis richtig ist. Die Aufgabe der KI ist es nicht, den Menschen zu ersetzen, sondern uns zu unterstützen, effektiver bessere Entscheidungen zu treffen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Plönnigs!